Den Markt lesen statt dem Bauch zu folgen: Mit regelbasierter Marktanalyse zu mehr Orientierung
Orientierung schlägt Bauchgefühl. Dieser Beitrag stellt ein Punktesystem vor, das hilft, Zyklen zu erkennen und Entscheidungen im Einklang mit dem Markt zu treffen.
Die Börse ist kein Ort für starre Überzeugungen, sondern ein System aus Zyklen, Dynamik und menschlicher Psychologie. Wer sich mittel- bis langfristig engagiert, braucht daher weniger kurzfristige Prognosen als vielmehr ein Werkzeug, um die aktuelle Marktphase zu verstehen und daraus sinnvolle Entscheidungen abzuleiten.
Selbst bei sorgfältig ausgewählten Einzelwerten zeigt sich immer wieder: Wenn das Marktsentiment kippt, geraten selbst die besten Fundamentaldaten ins Hintertreffen. Gewinnwarnungen, Zinsängste oder geopolitische Schlagzeilen reichen oft aus, um ganze Indizes nach unten zu ziehen und mit ihnen die Mehrheit aller Aktien.
Der legendäre Investor William O’Neil brachte es auf den Punkt:
Selbst wenn die einzelnen Aktien entsprechend ihrer Fundamentaldaten korrekt ausgesucht wurden, stürzen drei von vier Aktien ab, wenn die Marktrichtung nach unten zeigt.
Diese Erkenntnis verdeutlicht: Nicht allein die Qualität eines Unternehmens entscheidet über den Anlageerfolg, sondern ebenso das Umfeld, in dem es sich bewegt. Wer den Markt als übergeordneten Taktgeber begreift, kann sein Handeln besser auf die jeweilige Phase abstimmen – ob Aufschwung, Übertreibung oder Korrektur.
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Marktrichtung systematisch zu analysieren und in ein regelbasiertes Modell zu überführen – ein Werkzeug, das Stimmung, Momentum und Trend des Gesamtmarktes messbar macht und daraus klare Handlungsrahmen ableitet.
Disclaimer:
Die von mir auf Substack veröffentlichten Analysen und Texte stellen keine Anlageberatung, Steuerberatung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. Ich veröffentliche hier lediglich meine persönliche Meinung.
Aktien, ETFs und Fonds sind immer mit Risiken behaftet – auch ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals ist möglich.
Trotz sorgfältiger Recherche kann für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen und Unterlagen keine Haftung übernommen werden.
🧱 Die Basis: Marktanalyse auf Wochenbasis
Für eine mittel- bis langfristige Betrachtung ist es entscheidend, die Marktentwicklung jenseits kurzfristiger Schwankungen zu beobachten. Tagesbewegungen spiegeln meist Emotionen, Nachrichten oder algorithmisches Rauschen wider – doch der übergeordnete Trend zeigt sich erst im Wochenrhythmus.
Zur Einschätzung der Marktlage eignen sich Indikatoren, die sowohl Richtung als auch Stärke des Trends erfassen und zugleich Hinweise auf mögliche Übertreibungen geben. Bewährt hat sich eine Kombination aus gleitenden Durchschnitten, Momentum- und Stimmungsindikatoren:
🔹 Gleitende Durchschnitte (SMA 10 & 30 Wochen) verdeutlichen die mittelfristige Trendstruktur und geben Auskunft darüber, ob sich der Markt in einer Aufwärts- oder Abwärtsphase befindet.
🔹 Der Relative-Stärke-Index (14 Wochen) dient der Erkennung überkaufter (RSI > 70) oder überverkaufter (RSI < 30) Marktphasen und hilft, emotionale Extrempunkte besser einzuordnen.
🔹 Der MACD (12 / 26 / 9) misst die Dynamik des Trends und kann durch seine Signallinie potenzielle Wendepunkte andeuten.
🧠 In meinem Beitrag Anlegen mit Plan: Der smarte Weg zu starken Aktien bin ich etwas detaillierter auf die genannten Indikatoren eingegangen.
Aus diesen Bausteinen lässt sich ein objektives Bewertungsraster ableiten und damit ein vollständiges Bild aus Trendrichtung, Stärke und Marktstimmung zeichnen. Jedes Kriterium, das auf eine intakte Marktstruktur oder ein positives Momentum hinweist, erhält einen Punkt. In Summe sind sieben Punkte möglich:
Kurs > SMA 10 Wochen
Kurs > SMA 30 Wochen
SMA 10 Wochen > SMA 30 Wochen
RSI zwischen 30 und 70
Optimal: RSI zwischen 50 und 70
MACD-Linie > Signallinie (Bullish Crossover)
MACD-Linie > 0
Auf diese Weise entsteht ein klarer Rahmen, der es erlaubt, Marktentwicklungen losgelöst von Emotionen oder Schlagzeilen systematisch einzuordnen.
👉 Das Ergebnis liefert keine Prognose, sondern eine Zustandsbeschreibung: Wie stark ist der Aufwärtstrend? Befindet sich der Markt in einer neutralen Phase oder bereits in einer Korrektur?
📝 Vom Marktbild zur Handlung: Der Handelsplan
Eine Analyse gewinnt erst dann an Wert, wenn sie in konkrete Entscheidungen mündet. Ziel ist dabei nicht, nur schwarz oder weiß zu sehen, sondern die Investitionsquote sinnvoll an die jeweilige Marktphase anzupassen. So bleibt das Kapital im Einklang mit dem Trend, ohne dass emotionale Impulse den Takt vorgeben.
Im Kern unterscheidet der Ansatz zwischen zwei Szenarien: dem Handeln im Aufwärtstrend und dem Handeln nach einem Bärenmarkt. Beide Phasen folgen unterschiedlichen Logiken, lassen sich jedoch anhand der zuvor beschriebenen Punktezahl – also des Marktbarometers – klar strukturieren.
📈 Handeln im Aufwärtstrend
Solange der Markttrend intakt bleibt, ist das Ziel, investiert zu bleiben und von der positiven Dynamik zu profitieren. Erst wenn sich Übertreibungen abzeichnen oder das Momentum deutlich nachlässt, wird die Investitionsquote schrittweise reduziert.
7 Punkte: Der Markt zeigt einen stabilen Aufwärtstrend mit intaktem Momentum. In dieser Phase kann das Portfolio vollständig investiert sein und auch regelmäßigen Sparraten fließen weiter in den Markt.
Bis 5 Punkte: Erste Übertreibungsanzeichen werden sichtbar, beispielsweise ein RSI über 70. Hier kann es sinnvoll sein, laufende Sparraten vorübergehend zurückzuhalten (dry powder), während bestehende Positionen unverändert bleiben.
3 bis 4 Punkte: Das Momentum schwächt sich ab, etwa durch ein negatives MACD-Signal oder eine sich eintrübende Trendstruktur. In diesem Fall können Teilgewinne realisiert und die Investitionsquote auf rund 70 Prozent reduziert werden.
Unter 3 Punkte: Der Trend verliert an Kraft oder dreht ins Negative. Um das Risiko zu begrenzen, kann die Investitionsquote auf 50 Prozent gesenkt und bei anhaltender Schwäche später auf 30 Prozent reduziert werden.
Diese Abstufung erlaubt ein aktives, aber kontrolliertes Risikomanagement. Das Kapital bleibt im Markt verankert, um plötzliche Erholungen nicht zu verpassen, gleichzeitig wird in Phasen erhöhter Unsicherheit Liquidität aufgebaut, die später gezielt eingesetzt werden kann.
🌪️ Handeln nach einem Bärenmarkt
Nach einer längeren Abwärtsphase steht meist nicht sofort eine neue Hausse bevor. Der Markt testet Widerstände, die Volatilität bleibt hoch, und das Vertrauen kehrt nur schrittweise zurück. Auch hier hilft ein regelbasierter Fahrplan, der den Wiedereinstieg strukturiert und das Risiko eines zu frühen Engagements begrenzt.
3 bis 4 Punkte: Erste Anzeichen einer Stabilisierung werden sichtbar, etwa ein positiver MACD-Crossover oder ein RSI über 30. In dieser Phase kann ein Teil des zuvor zurückgehaltenen Kapitals – etwa 20 Prozent – schrittweise wieder investiert werden.
5 Punkte: Die Erholung festigt sich, der Markt bewegt sich über die gleitenden Durchschnitte und zeigt wieder Aufwärtsmomentum. Der sich abzeichnende Trendwechsel erlaubt die Investitionsquote auf 70 bis 90 Prozent zu erhöhen.
6 bis 7 Punkte: Der Trendwechsel ist bestätigt, die Marktdynamik kehrt zurück. Jetzt kann eine Vollinvestition erfolgen, inklusive zusätzlicher Investitionen beispielsweise aus regelmäßigen Sparraten.
🚧 Die schwierige Zwischenphase
Besonders herausfordernd ist die Zeit, in der der Markt noch keine klare Richtung zeigt. Hier wechseln sich Erholungsversuche und Rückschläge ab, typisch für anhaltende Bärenmärkte oder Bodenbildungsphasen.
Ziel ist es, nicht „den Boden zu erraten“, sondern Kapital zu schützen und zugleich offen für Chancen zu bleiben. Eine Restinvestition von 30–50 % erlaubt es, an potenziellen Erholungen teilzunehmen, ohne das Gesamtrisiko unnötig zu erhöhen.
👉 Am Ende geht es nicht darum, den exakten Wendepunkt zu treffen, sondern Kapital diszipliniert zu steuern: Risiko wird reduziert, wenn der Trend brüchig wird und erhöht, wenn sich Stärke nachhaltig zurückmeldet. So entsteht kein starres Timing-System, sondern ein flexibler Rahmen, der es erlaubt, Chancen und Risiken in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten.
Nachdem das Regelwerk vorgestellt wurde, stellt sich die Frage: Wie bewährt es sich in der Realität? Ein Blick auf den NASDAQ 100 im Verlauf des Jahres zeigt, wie sich die Marktstruktur anhand des Punktesystems tatsächlich verändert hat.
🔍 Ein Blick in die Praxis: Der NASDAQ 100 im Jahresverlauf
Ein Regelwerk entfaltet seine Stärke erst, wenn es sich in der Praxis bewährt. Um die Funktionsweise zu illustrieren, wurde der NASDAQ 100 seit Beginn des Jahres auf Wochenbasis analysiert. Für jede Woche wurden die zuvor definierten sieben Kriterien überprüft: von der Trendstruktur über den RSI bis hin zum MACD. Das Ergebnis zeigt, wie sich Marktstärke, Übertreibungen und Schwächephasen im Punktesystem widerspiegeln.
Ergänzend dazu von der Chart- und Analyseplattform TradingView.com [Affiliate-Link (*)] der Wochenchart des NASDAQ 100 mit den verwendeten Indikatoren.
Im ersten Quartal präsentierte sich der Index klar im Aufwärtstrend: Kurs, gleitende Durchschnitte und Momentum zeigten übereinstimmend Stärke. Über mehrere Wochen hinweg wurden sechs bis sieben Punkte erreicht – ein Hinweis auf einen intakten Trend und günstige Marktbedingungen.
Ab März veränderte sich das Bild spürbar. Handels- und Zollthemen rückten in den Fokus, nachdem die US-Regierung unter Präsident Donald Trump neue Importzölle ankündigte und damit die Sorge vor einem aufkeimenden Handelskonflikt schürte. Die Unsicherheit spiegelte sich rasch in den Kursen wider: Der RSI fiel unter die neutrale Zone, der MACD drehte nach unten, und auch der kurzfristige Durchschnitt rutschte zeitweise unter den langfristigen. In dieser Phase fiel das Punktesystem zeitweise bis auf null Punkte – ein deutliches Warnsignal und eine Phase, in der eine reduzierte Investitionsquote angebracht gewesen wäre.
Im weiteren Verlauf, ab Mai, stabilisierte sich der Markt schrittweise. Die Indikatoren hellten sich auf, der MACD zeigte erste positive Signale, und ab Juni rückten wieder fünf bis sieben Punkte in den Vordergrund. Das System hätte damit schrittweise den Wiedereinstieg signalisiert – nicht aus Emotion, sondern aus klar definierten Marktbedingungen heraus.
Der Verlauf verdeutlicht, wie der regelbasierte Ansatz hilft, die Marktlage nüchtern zu beurteilen: Nicht jede Korrektur ist ein Trendbruch, und nicht jede Erholung der Beginn einer neuen Hausse. Doch die Punktentwicklung zeigt, wann Vorsicht geboten ist – und wann Vertrauen langsam zurückkehren darf.
🧭 Warum ein systematischer Ansatz hilft
Emotionen sind an der Börse unvermeidlich, doch sie dürfen keine Grundlage für Entscheidungen sein. Gerade in volatilen Phasen neigt der Mensch dazu, auf Schlagzeilen oder kurzfristige Schwankungen zu reagieren, statt die übergeordnete Struktur zu erkennen. Ein regelbasiertes System wirkt in solchen Momenten wie ein Kompass: Es reduziert Lärm, schafft Orientierung und zwingt dazu, die eigene Wahrnehmung zu überprüfen.
Statt sich auf subjektive Eindrücke oder Marktkommentare zu verlassen, liefert ein klar definiertes Set an Kriterien ein objektives Lagebild. Es macht transparent, wann der Markt in einer konstruktiven Phase ist und wann Vorsicht geboten scheint. Gerade für Anleger, die ihre Positionen über Wochen oder Monate halten, ist das entscheidend: Nicht jede Kurskorrektur ist eine Kaufgelegenheit, und nicht jeder Aufschwung verdient Vertrauen.
Mit einem solchen Ansatz lässt sich das Investieren entpersonalisieren, ohne es zu entmenschlichen. Die Regeln dienen nicht dazu, Intuition zu ersetzen, sondern sie zu erden. Wer den Markt als System versteht, erkennt Muster dort, wo andere nur Zufall sehen.
🔖 Fazit: Klarheit statt Meinung
Ein strukturierter Blick auf den Gesamtmarkt ersetzt keine eigene Analyse, doch er schafft den notwendigen Rahmen dafür. Er zeigt, wann Fundamentaldaten wirken können und wann die Marktströmung stärker ist als jedes einzelne Unternehmen.
Oder um es erneut mit den Worten von William O’Neil zu sagen:
Lassen Sie sich von Marktindizes zeigen, wann es Zeit ist ein- oder auszusteigen. Kämpfen Sie niemals gegen den Markt an – er ist größer als Sie.
Das Ziel ist nicht, jede Wendung vorherzusehen, sondern die eigenen Entscheidungen in Einklang mit dem Markt zu bringen. Wer auf Basis objektiver Kriterien handelt, bleibt handlungsfähig – selbst dann, wenn die Stimmung kippt.
Wie schätzt du den aktuellen Markt ein? Welche Indikatoren oder Signale nutzt du selbst, um Trendstärke oder Risikophasen zu erkennen und wie stark verlässt du dich dabei auf technische oder fundamentale Kriterien?
Mich interessiert, wie andere Anleger an diese Frage herangehen: Ist ein regelbasierter Ansatz für dich eher ein Werkzeug zur Orientierung oder bereits ein fester Bestandteil deiner Investmentstrategie?
Teile gern deine Gedanken dazu unten in den Kommentaren. Ich freue mich auf den Austausch und unterschiedliche Perspektiven. ✍️
Vielen Dank fürs Lesen und bis zum nächsten Mal,
Daniel aka Whirlwind360
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